sábado, 27 de julio de 2013

Deutschland wird Europas Schlachthaus - DIE WELT

Siebenhundert Gramm Kotelett für 2,99 Euro liegen in den Regalen eines Discounters. Solche Tiefstpreise ermöglichen Menschen wie Petran Dumitru*: Vier Jahre lang hat der 50 Jahre alte Rumäne in einem niedersächsischen Schlachthof Koteletts abgetrennt. Gemeinsam mit seinem sechsköpfigen Team schaffte er etwa 4500 Schweine pro Tag oder Nacht. 1,31 Cent bekam Dumitru pro Tier. In den Schlachthöfen ist es üblich, dass ein Arbeiter über Jahre den gleichen Arbeitsschritt macht: Köpfe abtrennen, Schwänzchen kappen oder eben Koteletts entnehmen. Nach einem Monat mit Schichten von bis zu zehn Stunden ging Petran etwa mit 1500 Euro nach Hause, in seinem Schlachthof gehörte er damit zu den Spitzenverdienern.

Sein Deutsch ist ebenfalls besser als das der meisten seiner Kollegen, wenngleich er auch nach vier Jahren immer noch für viele Dinge in der Sprache seiner Arbeitsheimat keine Worte findet: "Lohn war gut, Geld immer pünktlich, ich bin bisschen gut mit Messer", sagt Dumitru. Seine Frau holte er später nach, sie bekam in dem Schlachthof nur 0,98 Cent pro Schwein, für einen Vollzeitjob erhielt sie am Monatsende meist um die 850 Euro. "Besser als Rumänien", sagt die 53-jährige Violeta Dumitru. "Ich kenne viele Rumänen an deutschen Schlachthöfen, die viel weniger Geld kriegen."

Weil Arbeitsverhältnisse wie die des Ehepaares kein Einzelfall sind, regt sich Kritik aus dem europäischen Ausland gegen den hohen Anteil an unternehmensfremden Beschäftigten an deutschen Schlachthöfen. Die meist osteuropäischen Billigarbeiter verschafften den deutschen Konkurrenten Kostenvorteile, mit denen die heimische Fleischbranche nicht mithalten könne, lautet der Vorwurf. So ist etwa in Frankreich wegen des allgemeinen Mindestlohns keine Bezahlung unter 9,43 Euro pro Stunde möglich, in Belgien muss jeder Arbeiter eines Schlachthofes mindestens 12,88 Euro Stundenlohn erhalten.

Der Chef des österreichischen Verbandes der landwirtschaftlichen Veredelungsproduzenten, Hans Schlederer, beklagt etwa: "Von den 14 größten Schlachthöfen Österreichs sind im Vorjahr fünf insolvent geworden." Schuld daran sei das "Lohndumping" an deutschen Schlachthöfen, deren Arbeitsbedingungen "moderner Sklaverei" glichen. Die Belgier kritisieren die gängige Praxis der deutschen Schlachtbranche, rumänische und andere osteuropäische Wanderarbeiter in den Schlachthäusern anzustellen und, nach den Worten des belgischen Wirtschaftsministers Johan Vande Lanotte, "systematisch geringer als die übrigen Arbeiter zu bezahlen". Das widerspreche verschiedenen EU-Vorschriften und dem Vertrag von Lissabon.

Dass Arbeiter wie Violeta und Petran Dumitru legal deutlich weniger Geld als die Stammbelegschaft erhalten, liegt daran, dass sie über Werkverträge beschäftigt sind. Große Firmen nutzen die Werkverträge eigentlich, um Produktionsspitzen abzufedern, wenn für eine begrenzte Zeit mehr Personal benötigt wird oder Aufgaben erledigt werden müssen, für die im Unternehmen nicht die nötigen Fachkräfte vorhanden sind.

In der Fleischbranche hingegen ist es seit Jahren üblich, die Stammbelegschaft abzubauen und durch Werkvertragsarbeitnehmer zu ersetzen. Dabei stellt ein Schlachthof keine eigenen Arbeiter an, sondern vergibt ein "Werk", etwa die Zerlegung von einer Million Schweinen, an ein fremdes Unternehmen. Dieses Subunternehmen rekrutiert dann Arbeiter, mit denen es das "Werk" durchführt. Der Schlachthof kann danach nicht mehr über Löhne oder Unterbringung der oft osteuropäischen Arbeiter entscheiden. All das ist dann Sache des Werkvertragsunternehmens.

Violeta und Petran Dumitru sind seit der Insolvenz ihres Werkvertragsunternehmens im vergangenen November arbeitslos. Ihr Schlachthof gehört einem der vier großen Schweinefleischproduzenten in Deutschland. Der holte sich über ein anderes Werkvertragsunternehmen neue Osteuropäer an Bord.

Die belgische Regierung legte im April sogar Beschwerde bei der Europäischen Kommission gegen das Lohndumping und die Ungleichheit der Arbeitsverhältnisse in Deutschland ein. Diesen Weg beschritten die französischen Fleischer schon 2011. "Jedes Jahr schrumpft die Branche in Frankreich um zwei Prozent, während sie in Deutschland um fünf Prozent wächst", beklagten die Unternehmens- und Verbandsvertreter.

Ein Blick in die Zahlen des europäischen Statistikamtes Eurostat zeigt, dass die hiesigen Schlachthöfe den europäischen Markt aufrollen. Führte Deutschland zur Jahrtausendwende noch deutlich mehr Fleisch aus den EU-Staaten ein als aus, so hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt. 2012 standen Importen von 2,17 Millionen Tonnen EU-Exporte von 2,57 Millionen Tonnen gegenüber. Seit 1997 stieg die erzeugte Schlachtmenge um satte 61 Prozent auf acht Millionen Tonnen an.

Dieses Wachstum sei nur möglich, weil osteuropäische Leiharbeiter hierzulande als Quasi-Dauerarbeitskräfte eingesetzt würden, klagten die Franzosen. Auch aus Dänemark und den Niederlanden gibt es kritische Stimmen.

Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) sagte der "Welt": "Ich schätze, dass 80 Prozent in den niedersächsischen Schlachthöfen über Werkverträge eingestellt sind, indirekt haben die großen Fleischkonzerne das auch schon bestätigt." Seiner Einschätzung nach sehe es in anderen Bundesländern ähnlich aus. Matthias Brümmer von der Gewerkschaft NGG geht sogar von mehr als 80 Prozent Werkvertragsarbeitern in der Fleischbranche aus. Der "Welt" sagte er, die Löhne lägen oft nur bei drei bis fünf Euro. Offizielle Zahlen gibt es nicht, weder zu den Löhnen, noch zu dem Anteil der Werkvertragsarbeiter. Zwei Anfragen bei Branchenprimus Tönnies, der 16 Millionen Schweine pro Jahr schlachtet, wurden nicht beantwortet.

Heike Harstick vom Verband der Fleischwirtschaft schätzt den Anteil der Werkvertragsarbeiter auf insgesamt höchstens 50 Prozent. Sie führt den Erfolg deutscher Schlachthöfe auf die gewachsene Professionalisierung, größere Einheiten und bessere Technik zurück. "Die Franzosen und Belgier beschweren sich wegen der deutschen Niedriglöhne, weil sie Gründe dafür suchen, warum sie so schlecht sind", sagt Harstick. Dass die Lohnkosten hier geringer sind als bei den Nachbarn, streitet aber auch sie nicht ab: "Im Vergleich zu den Nachbarländern sind sie auf keinen Fall schlechter geworden." Davon profitiere die deutsche Fleischindustrie zwar, dafür seien aber die Energiekosten in Deutschland höher als im Ausland. Auch um die Ökostrom-Umlage zu sparen stellen die Fleischunternehmen Billig-Arbeiter aus dem Osten ein, die als Sachkosten verbucht werden können und die Wertschöpfung eines Unternehmens drücken: Denn wenn der Anteil der Energiekosten an der Wertschöpfung eines Unternehmens den Grenzwert von 14 Prozent erreicht, kann es sich nach dem EEG-Gesetz von der Umlage befreien lassen.

Gestärkt werden die deutschen Schlachthöfe aber auch durch Subventionen. So gab etwa die frühere Landesregierung in Niedersachsen bekannt, die PHW-Unternehmensgruppe (Wiesenhof) seit 2007 mit 4,2 Millionen Euro Landesmitteln gefördert zu haben. EU-Fleischsubventionen fließen ebenfalls kräftig an die Schlachthöfe. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium profitierte Westfleisch in Münster etwa 2012 mit mehr als 638.000 Euro. Die Vion Trading GmbH in Düsseldorf durfte sich über mehr als 366.000 Euro freuen.

An den EU-Agrarsubventionen regt sich aber Kritik. Die Mitgliedstaaten können künftig eine Negativliste mit Unternehmen einreichen, die von den Subventionen ausgenommen werden sollen. Minister Meyer fordert, alle Schlachthöfe auf diese Liste zu setzen, die weniger als 8,50 Euro Mindestlohn zahlen. Gegenüber der "Welt" kritisierte er, die Vertreter der großen Fleischkonzerne argumentierten, man könne keinen gemeinsamen Mindestlohn für die osteuropäischen Arbeitnehmer durchsetzen, weil das Lohnniveau in deren Herkunftsstaaten so unterschiedlich sei.

Beschafft werden die billigen Arbeiter aus Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern oft von dubiosen Vermittlungsfirmen, untergebracht sind sie häufig in Massenunterkünften. Violeta und Petran Dumitru etwa leben in einem Haus mit 16 weiteren Rumänen, in jeder der drei Wohnungen sind sechs Menschen untergebracht. Das Ehepaar klagt, ihr Chef, dessen Unternehmen im vergangenen November Insolvenz anmeldete, schulde ihnen noch 6000 Euro. Einer ihrer Mitbewohner sagt, er sei jetzt exakt in dem Schlachthof beschäftigt, in dem Petran und Violeta vorher arbeiteten. Er sei Angestellter der Werkvertragsfirma, die nach der Insolvenz des Vorgänger-Unternehmens in dem Schlachthof des großen Schweinefleischproduzenten die Arbeit aufnahm.

Um die Verantwortlichkeiten für schlechte Arbeitsverhältnisse und den Missbrauch von Werkverträgen zu klären, beschloss Niedersachsen, auf das gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen zwei Drittel aller in Deutschland geschlachteten Schweine entfällt, eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe einzusetzen. Anfang August soll es erste Ergebnisse geben. Petran erhofft sich jedoch nicht viel von der Politik. "Was die macht, ist egal. Auch wenn neue Gesetze kommen, bringt das nichts. Es wird immer neue Rumänen und Bulgaren geben, die hier für ein bisschen Geld arbeiten."

*Petran und Violeta heißen in Wirklichkeit anders

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