Auch im weltweiten Vergleich schneiden die hiesigen Unternehmen besser ab als andere Firmen
Wer als innovativ gilt, gibt aber nicht automatisch viel Geld für Forschung aus, wie das Beispiel Apple zeigt
Allen konjunkturellen Unsicherheiten zum Trotz hat sich die deutsche Wirtschaft in puncto Forschung nicht den Schneid abkaufen lassen und die Ausgaben für Innovation im vergangenen Jahr stärker als alle anderen Länder in der Europäischen Union gesteigert. Wie eine Studie der Strategieberatung Booz & Company beweist, die bereits zum achten Mal einmal im Jahr die Forschungs- und Entwicklungsbudgets der tausend forschungsfreudigsten, börsennotierten Konzerne weltweit miteinander vergleicht, haben die Deutschen mitten in der Euro-Krise überproportional viel Geld in Produktinnovationen gesteckt.
Der Untersuchung zufolge, die der "Welt" vorliegt, steigerten hiesige Konzerne im vergangenen Jahr ihre Ausgaben für Forschung & Entwicklung (F&E) um satte 14,8 Prozent – während sich die Budgets in Gesamteuropa im Schnitt nur um magere 5,4 Prozent erhöhten. Weltweit stiegen die Investitionen durchschnittlich um 9,6 Prozent. Mit einem Gesamtvolumen von 44,3 Milliarden Dollar, die hiesige Topunternehmen 2011 in den Fortschritt investierten, entfielen 7,4 Prozent der gesamten globalen Forschungsausgaben auf uns – womit Deutschland klar vor Frankreich (32,2 Milliarden Dollar) und der Schweiz (30,2 Milliarden Euro) liegt.
Die großen deutschen Unternehmen haben durch die antizyklische Investitionsstrategie mitten in der Euro-Krise Weitsicht bewiesen. Noch 2009 hatte ihr Forschungseifer aufgrund der schärfsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Jahrzehnten stark gelitten; rezessionsbedingt sanken die Ausgaben damals im Schnitt um 3,1 Prozent. Seither lässt sich die hiesige Industrie offenbar nicht von der durch die europäische Schuldenkrise durchaus unsicheren Zukunft beeindrucken. "Die gute Nachricht ist, dass deutsche Konzerne derzeit beim Thema Forschung wirklich auf dem Gaspedal stehen", sagt Klaus-Peter Gushurst, Deutschland-Chef von Booz & Company. Nun bleibe abzuwarten, wie sie sich verhalten, wenn die Konjunktur 2013 wieder abflachen sollte. Zwar verschlechtert sich die Stimmung in der Wirtschaft derzeit spürbar; der Ifo-Geschäftsklimaindex etwa war in der vergangenen Woche das sechste Mal in Folge gesunken. Momentan sieht der Berater zwar de facto noch keine Anzeichen dafür, dass die Unternehmen bereits wieder Sparprogramme in der Schublade hätten, die Kürzungen auch für die Bereiche Forschung und Entwicklung beinhalten. "Man kann nur hoffen, dass dies auch wirklich so bleibt", so Gushurst.
Immer wieder lassen sich Unternehmenschefs dazu hinreißen, in schwierigen Zeiten zuerst den Rotstift bei den hauseigenen Forschungslaboren anzusetzen. Was betriebswirtschaftlich im Einzelfall zweifellos nicht immer zu vermeiden ist, rächt sich jedoch mittelfristig oft in teils spürbar eingeschränkter Wettbewerbsfähigkeit. Der Blackberry-Hersteller RIM etwa bekam dies zu spüren: Weil er das Thema Innovation vernachlässigt hatte, wurde er auf dem extrem dynamischen und heiß umkämpften Markt für Smartphones von anderen Herstellern überholt.
Auch der Autohersteller Toyota – vormals Weltmeister bei den Forschungsbudgets – war vorübergehend auf die Kostenbremse getreten; dank einer Investitionsoffensive katapultierte sich das japanische Unternehmen jedoch in diesem Jahr wieder auf den ersten Platz der forschungsfreudigsten Unternehmen. Darüber hinaus schafften es gleich vier Pharmakonzerne – Novartis (2), Roche (3), Pfizer (4) und Merck (7) – unter die Top 10 der Welt; zudem sind erwartungsgemäß technologiegetriebene Unternehmen wie Microsoft (5) oder Samsung (6) in der Weltspitze vertreten.
Von den deutschen Unternehmen schaffte es der Automobilhersteller Volkswagen dank seit 2010 um fast 27 Prozentpunkte gestiegener Forschungsausgaben in diesem Jahr auf Platz elf und damit wie Daimler (Platz 19) unter die besten zwanzig weltweit. Beide Konzerne zusammen kamen für etwa ein Drittel der in der Studie erfassten deutschen Innovationsausgaben auf. Ingesamt sind in diesem Jahr 50 hiesige Konzerne unter den Top 1000 vertreten, im Vorjahr waren es nur 46.
Überraschend ist, dass diejenigen, die am meisten für den technologischen Fortschritt ausgaben, nicht notwendigerweise als technologische Spitzenreiter angesehen werden. Booz & Company befragte in der Studie zusätzlich 700 Führungskräfte der untersuchten Konzerne danach, welche Unternehmen ihrer Ansicht nach die Vorreiter sind. Wie in den Jahren zuvor landete dabei Apple auf dem ersten Platz, gefolgt von Google und 3M. Und das obwohl der iPhone-Hersteller mit 2,2 Prozent vom Umsatz vergleichsweise wenig in F&E investiert.
Daraus ein Leitbild für die gesamte Wirtschaft abzuleiten, hält Strategieberater Gushurst dennoch für verfehlt: Je nach Branche sei Forschung unterschiedlich kostspielig, sagt er. Ihm zufolge ist gerade für hiesige Unternehmen die weitaus entscheidendere Frage, wie gut die westliche Wirtschaftswelt im Wettbewerb mit den erstarkenden Staaten Asiens dauerhaft bestehen kann. Wenngleich von niedrigerem Niveau ausgehend, haben die forschungsintensiven Unternehmen Chinas und Indiens 2011 ihre Innovationsbudgets um 27 Prozent gesteigert. "Wir müssen aufpassen, dass uns beim Thema Innovation nicht die Führungsrolle aus der Hand genommen wird", so Gushurst.
Gerade mit Blick auf die hohe Forschungsdynamik in Asien ist die Innovationsstärke Deutschlands de facto immer wieder Gegenstand auch politischer Diskussionen. Nach wie vor verfehlt die Bundesrepublik das europaweit vereinbarte Ziel, drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung zu investieren – trotz milliardenschwerer Anstrengungen: 2010 etwa waren es 2,82 Prozent. Kritiker monieren zudem die geringe staatliche Förderung von Forschung in den Unternehmen, derzufolge der Standort Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern unattraktiver sei.
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