Berlin (RP). Aufgeschoben und bald aufgehoben: Im Dauerstreit zwischen Union und FDP wird jetzt das Versprechen eingelöst, die Sicherheitsarchitektur auf den Prüfstand zu stellen. Umsetzen muss das aber die nächste Regierung.
Sie saßen zwar nebeneinander, aber an einem Strang ziehen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) deshalb nicht. Nach ihrem ersten Gespräch im neuen Format wusste die FDP-Bürgerrechtlerin, dass man nun die "Eingriffstiefe" und die "Streubreite" der Anti-Terror-Gesetze "kritisch bewerten" werde. Dagegen stand für den CSU-Sheriff fest, dass die Regeln noch nicht reichen.
Dabei hatten sie sich auf gewissermaßen neutralem Boden getroffen, um die bereits im Sommer 2011 verabredete Überprüfung der deutschen Sicherheitsarchitektur endlich zu beginnen: Nicht im Innen- und auch nicht im Justizministerin schickten sie die gemeinsame Regierungskommission auf die Reise, sondern in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Die in Pankow beheimatete Institution wird gemeinsam getragen von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Die arbeiten von Anfang an reibungslos zusammen. Aber diese Harmonie wirkte auf die Spitzen von Innen- und Justizressort alles andere als ansteckend.
Friedrich belegte bereits den Startschuss mit Begleitfeuer. Die Bedrohungslage habe sich in den vergangenen zwei Jahren so entwickelt, dass man "eher mehr Gesetze braucht, um dieser internationalen Lage gerecht zu werden", legte er als Botschaft via Interview der Kollegin auf den Frühstückstisch. Er unterfütterte das mit Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden. Viele Salafisten seien aus Deutschland nach Ägypten gereist und zögen von dort weiter in Ausbildungslager. "Die wollen natürlich auch zurückkommen", stellte Friedrich fest und diagnostizierte ihre Absicht: "Anschläge in Deutschland, in Europa". Also nachlegen bei Passgesetzen und Ausweisungen, lautet für den Innenminister die Folgerung.
Die Reaktion des Koalitionspartners lag auf der Hand: "Der Herr Friedrich singt einen altbekannten Wahlkampfschlager: erst Ängste schüren, um dann Gesetze vorzuschlagen, die wenig Sicherheit bieten und viel Freiheit kosten", sagte der Rechtsexperte der FDP-Fraktion, Marco Buschmann. Die gestern konstituierte Regierungskommission solle sachverständige Analysen und Vorschläge erstellen können. "Niemand sollte versuchen, dieses sehr sachliche Verfahren mit hektischen Kommandos von außen auszuhebeln", betonte Buschmann.
Weder Hektik noch Eile hat die aus acht Sicherheitsfachleuten und Juristen bestehende Kommission: Das nächste Treffen verabredete sie für März. Ursprünglich sollte sie im Herbst 2011 ihre Arbeit aufnehmen. Doch seinerzeit erschütterte das Bekanntwerden der verhängnisvollen Pannen bei der Aufklärung der rechtsextremistisch motivierten Mordserie an Migranten und einer Polizistin durch den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) das Land. Die Botschaft, mit aller Kraft das Versagen der Behörden zu durchleuchten, sollte nicht verwässert werden durch eine intensive Erforschung, wie wirksam und notwendig die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedeten Anti-Terror-Gesetze noch sind.
Nun will die Koalition auch die Folgerungen aus dem NSU-Debakel in die Debatte über die Sicherheitsarchitektur einbeziehen. Und zwar "außerhalb des täglichen politischen Schlagabtausches", wie die Justizministerin nach der Sitzung zu Protokoll gab.
Aber schon Rot-Grün hatte sich nur auf einen Kompromiss verständigen können und den leichten Zugang der Behörden zu Flug- und Bankdaten mit einem Verfallsdatum versehen. Als die Regelung auszulaufen drohte, erweiterte die große Koalition die Möglichkeiten für die Behörden noch einmal und beschränkte die Laufzeit erneut auf fünf Jahre. 2012 wäre es mit dem nach Innenminister Schily (SPD) benannten "Otto-Katalog" endgültig vorbei gewesen, wenn nicht Friedrich und Leutheusser-Schnarrenberger im Frühsommer 2011 eine neue Basis gefunden hätten: Ein Großteil der Gesetze wurde erneut um vier Jahre verlängert, dafür baute die Koalition zugleich die parlamentarische Kontrolle aus und hob die Hürde an. Der Zugriff auf die Daten war fortan nicht schon erlaubt, wenn "Anhaltspunkte" für eine Terrorplanung vorlagen, sondern erst bei "Tatsachen", die den Verdacht stützten. Vor allem aber: Das Ja der FDP zur Verlängerung bekam die Union nur gegen die Versicherung, die verlängerten Gesetze baldmöglichst zu "evaluieren", also daraufhin zu überprüfen, wie sie wirken. Für Friedrich stand von Anfang an die Möglichkeit im Raum, dann noch draufzusatteln, für Leutheusser-Schnarrenberger ging es immer darum, auf diesem Weg noch abrüsten zu können.
Die jüngste Initiative zur Belebung der alten Absicht ging von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als sie noch für das gemeinsame Projekt Schwarz-Gelb stand und für dessen nahtlose Fortsetzung nach der Bundestagswahl im September warb. Denn die Sicherheitsarchitektur hatte in der Koalition von Union und FDP von Anfang an keine gemeinsame Statik: kein Aushängeschild für einen Koalitionswahlkampf. Die Vorratsdatenspeicherung liegt noch immer auf Eis. Das Innenministerium verweist auf die eklatante Lücke, die mit dem Verzicht auf Computer-Identitäts- und Handy-Verbindungsdaten für die Aufklärung von Kapitalverbrechen und die Gefahrenabwehr verbunden ist. Das Justizministerium wiederum pariert mit dem Hinweis, wenn es nach Leutheusser-Schnarrenberger ginge, hätte Deutschland längst eine neue Speicherung – eingeschränkt auf "eingefrorene" Daten im konkreten Verdachtsfall. Das aber ist der Union viel zu wenig.
Nicht nur der Datenschutzbeauftragter Peter Schaar sorgt sich daher, dass für die jetzt erst gestartete Überprüfung die Zeit bis zum für Juni angepeilten Ergebnisbericht nicht reichen könnte, um umfassende Bewertungen vorlegen zu können. Aber darauf kommt es möglicherweise gar nicht an. Vermutlich werden die konträren Lager in der Kommission kaum zusammenfinden, die Faktenlage mühsam aufschreiben und dann unterschiedliche Konsequenzen daraus ziehen wollen. Friedrich jedenfalls sieht die erhofften Ergebnisse weniger als Vorlage für zügige Gesetzesnovellen, sondern eher als Basis für die nächsten Koalitionsgespräche. Wer auch immer diese Gespräche führt.
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