Die Beine übereinander geschlagen, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und leicht vorgebeugt, so sitzt sie Sonntagabend mitten in Günther Jauchs Talkrunde. Hauptberuflich ist Anne Wizorek Kommunikationsberaterin, aber heute Abend ist sie die Anwältin tausender Frauen, die Opfer sexueller Belästigung in Deutschland wurden.
Unter dem Hashtag #aufschrei forderte Wizorek Frauen im Internet dazu auf, ihre persönlichen Erlebnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen. Erst war es nur die Debatte um einen Artikel des Nachrichtenmagazins „Der Stern", in dem eine Journalistin berichtet, vom damaligen Bundesminister Rainer Brüderle in unangemessener Weise „angemacht" worden zu sein. Das habe das Fass zum Überlaufen gebracht, berichtet die junge Frau im Fernsehen. Dann habe sie bei Twitter alle Frauen aufgefordert, ihr Schicksal öffentlich zu machen. „Ich schlage #aufschrei vor", schrieb sie da.
Doch das Beben, das dann durch Deutschland ging, habe auch sie überrascht. Tausende meldeten sich schon in den ersten Stunden, schilderten ihre Erlebnisse mit übergriffigen Chefs und Macho-Typen. Mittlerweile sind mehr als 60 000 Reaktionen zusammengekommen! Es gehe von anzüglichen Bemerkungen auf der Straße bis zu tatsächlichen Übergriffen, sagt Wizorek bei Jauch. Natürlich habe auch sie ganz persönlich so etwas schon erlebt. Nur: „Viele Männer kennen diese Realität nicht und sind schockiert!", sagt die junge Frau. Sie findet: „Es zeigt welches Redebedürfnis da ist."
Viele Frauen wüssten gar nicht, wie sie sich schützen können, findet Wizorek. „Wie soll ich reagieren, wenn der Chef Avancen macht?", fragt sie anklagend in die Runde. Sie will klarmachen, wo die Grenzen liegen zwischen einem harmlosen Flirt und dreister Anmache: „Ein Flirt passiert einvernehmlich!"
Jetzt sei die Zeit etwas zu ändern. „Wir müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen", sagt sie bestimmt. Sie zeigt, wie ernst es ihr mit dieser Forderung ist, reagiert empört, als die Runde zum Punkt kommt: „Männer sind eben doch nur Männer." Sie klagt an: „Ist es zu weit gegriffen, von Menschen zu verlangen, dass sie andere respektieren?"
Unterstützung in der Runde bekommt die junge Feministin vor allem von einer Altgedienten auf diesem Gebiet. Alice Schwarzer springt der manchmal doch schüchternen Wizorek bei. Lobt immer wieder ihr Engagement und fordert: „Wir müssen das ernst nehmen!" Während "Stern"-Chefredakteur Thomas Osterkorn sich dabei geschickt als Kämpfer für die gerechte Sache zu inszenieren sucht, bleibt Journalist Hellmuth Karasek bei der These: „Männer sind eben Männer." Günther Jauch fühlt sich gar bedrängt und sieht die Männer in der Opferrolle. Wie groß aber tatsächlich der Redebedarf ist, zeigt die FDP-Frau Silvana Koch-Mehrin. Sie selbst hat sich als Frau in einer Männerwelt arrangiert, sagt aber auch: „Für meine Töchter möchte ich das nicht!"
Anne Wizorek ist eine junge, gut ausgebildete und zielstrebige Frau, die wie viele andere feststellen musste, dass Herrenwitze und Machotum in Deutschland Realität sind. Sie will ein ehrliches, faires Miteinander für sich und alle anderen Frauen. Mit ihrer Twitter-Aktion will sie das Thema in die breite Öffentlichkeit bringen, will offen diskutieren. Mit Männern und Frauen.
Und sie will eine Entschuldigung von Rainer Brüderle.
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