Kritiker fordern mehr Transparenz im milliardenschweren Geschäft mit Rüstungsgütern. Für Kanzlerin Merkel sind die Verkäufe Teil der Außenpolitik
Berlin. Georg Wilhelm Adamowitsch hatte gute Nachrichten zu verkünden. Kurz vor dem Weihnachtsfest trat der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie vor die Presse, um die Bedeutung der in seinem Verband organisierten 80 Unternehmen für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu preisen.
Die Statistiken, die Adamowitsch vorstellte, beschreiben eine Branche mit rasantem Wachstum. So ist die Zahl der Beschäftigten von 2005 bis 2011 um 27,4 Prozent auf knapp 98.000 Arbeitnehmer gestiegen. Rechnet man Ausstrahleffekte auf Zulieferer und nachgelagerte Wirtschaftszweige hinzu, hängen weitere rund 220.000 Arbeitsplätze an der Rüstungsindustrie. Das gesamte Güteraufkommen der Branche lag 2011 bei 28 Milliarden Euro.
Diese Zahlen sind insofern besonders bemerkenswert, als der Rüstungsindustrie Kernmärkte weggebrochen sind. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die Unternehmen mit sinkenden Budgets ihrer Abnehmer konfrontiert. Nicht nur bei der Bundeswehr, auch bei den Streitkräften der europäischen und Nato-Bündnispartner wurden die Ausgaben für die Beschaffung neuer Waffen zum Teil drastisch reduziert.
Doch die Rüstungsindustrie erschloss sich neue Absatzmärkte. 2011 gingen Rüstungsgüter im Wert von 12,5 Milliarden Euro in den Export - also fast die Hälfte der Produktion. Die neuen Kunden außerhalb von EU- oder Nato-Staaten kommen aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman, Katar, dem Sultanat Brunei, Ägypten oder Singapur.
Die Rüstungswirtschaft produziert Güter, die den Tod bringen können. Im Grundgesetz ist in Artikel 26 eine politische Kontrolle festgeschrieben. "Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden." Im Kriegswaffenkontrollgesetz und im Außenwirtschaftsgesetz sind die Details geregelt. Tenor: Zunächst einmal ist alles verboten - es sei denn, die Regierung erteilt eine Ausnahmegenehmigung.
Nur: Wie passt dieser Grundsatz zum aktuellen Boom der deutschen Rüstungsindustrie? Ob ein Waffenexport erlaubt wird, entscheidet der Bundessicherheitsrat. Darin vertreten sind die Bundeskanzlerin, der Chef des Kanzleramtes, die Minister für Auswärtiges, Verteidigung, Finanzen, Inneres, Justiz, Wirtschaft und Entwicklungshilfe. Das Gremium tagt geheim, seine Geschäftsordnung ist geheim, und seine Entscheidungen sind es auch. Es gibt keine parlamentarische Kontrolle, meist auch keine öffentlichen Debatten über die Waffenexporte - jedenfalls bis zur Veröffentlichung des Rüstungsexportberichts der Bundesregierung. Doch wenn dieser jährliche Rechenschaftsbericht dem Bundestag vorgelegt wird, sind die Genehmigungen längst erteilt.
Wenn heute an Staaten wie Saudi-Arabien geliefert wird, gibt es einen wachsenden Diskussionsbedarf. Die Neigung der Regierung, ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf eine exekutive Eigenverantwortung aufzugeben, ist nicht sonderlich ausgeprägt.
Ein Beispiel dafür ist ein neuer Deal mit den Saudis. "Bild am Sonntag" berichtete kurz vor dem Jahreswechsel über eine Großbestellung der Scheichs. Danach hat das Königreich bei den deutschen Firmen Krauss Maffei Wegmann sowie Bruker Daltonik 30 ABC-Spürpanzer vom Typ Dingo 2 zum Preis von etwa 100 Millionen Euro geordert. Ein paar Wochen zuvor hatte der "Spiegel" bereits über das Interesse der Araber an Transportpanzern, Typ Boxer, berichtet. Und im Juli 2011 wurde eine Voranfrage des Golfstaates über den Kauf von bis zu 270 Leopard-II-Kampfpanzern vom Bundessicherheitsrat positiv beschieden.
Die Regierung reagiert auf solche Berichte mit einem Ritual. Das Wirtschaftsministerium teilte mit, dass man "grundsätzlich keine Angaben zu Voranfragen über die Genehmigungsfähigkeit bestimmter Ausfuhrvorhaben" mache. Ähnlich erwartbar ist die Reaktion der Opposition. Grünen-Chefin Claudia Roth prangerte das Dingo-Geschäft an: "Es scheint zur traurigen Routine der Regierung Merkel zu werden, schwere Kriegswaffen an Saudi-Arabien und andere autoritäre Staaten zu liefern." Irgendein Bundesminister wird irgendwann anmerken, dass die Vorgängerregierungen von SPD und Grünen das alles ebenso gehalten hätten und die Kritik deshalb scheinheilig sei.
Volker Kauder, Fraktionschef der Union, sprach neulich in der "Welt am Sonntag" ganz offen über die Waffenlieferungen an das islamistische Regime in Riad. Dort gebe es "in der Tat keine Religionsfreiheit und antisemitische Tendenzen. Das Land spielt aber andererseits eine wichtige Rolle als Gegengewicht zum Iran." Es sei eine bittere Ironie: "Die Saudis mögen selbst judenfeindlich sein, aber sie sorgen auch dafür, dass der Iran die Juden nicht ins Meer treiben kann."
Die Bundeskanzlerin scheut die öffentliche Debatte darüber, wie man diese widerstreitenden Interessen ausgleichen kann. Dabei hat sich Angela Merkel darüber Gedanken gemacht. Die reichen weit über den Einzelfall Saudi-Arabien hinaus. Aus dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan hat Merkel den Schluss gezogen, dass die Entsendung von Soldaten des Westens in fremde Krisenregionen mehr Probleme als Lösungen schafft. Ihre Alternative: Partnerländer in den Problemregionen der Welt sind zu "ertüchtigen" - auch mit dem Export von Waffen.
Der Pferdefuß an dieser Außenpolitik: Mit den restriktiven Exportgrundsätzen ist das alles kaum vereinbar. "Beschäftigungspolitische Gründe" dürfen danach ohnehin keine ausschlaggebende Rolle bei Waffenlieferungen spielen.
Nachdem SPD und Grüne Anträge formuliert haben, die auf eine stärkere Einbeziehung des Parlamentes zielen, macht sich nun auch Ruprecht Polenz (CDU) dafür stark. "Wir brauchen in diesen Fragen mehr Transparenz", sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Und der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen fordert: "Wenn ein demokratischer Staat wie die Bundesrepublik Waffen verkauft, dann sollte er dazu stehen und seine Entscheidung öffentlich rechtfertigen."
Doch sind diese Stimmen in den Regierungsparteien eine Minderheit. Für eine Anhörung zur Transparenz bei Rüstungsexporten bestellten Union und FDP Experten, die eine größere Beteiligung des Bundestags als Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung strikt ablehnten. Das Argument ist juristisch wacklig, aber belegt: Die Bundesregierung will nicht über ihre Exportpolitik diskutieren, nicht mit der Öffentlichkeit und auch nicht mit dem Bundestag. Über den Verkauf wird also weiter im Verborgenen entschieden.
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