viernes, 28 de diciembre de 2012

"Deutschland fährt auf der letzten Rille" - DIE WELT

Es gibt eine Postkarte, die Peter Meyer, Präsident des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC), gut gefällt: Darauf ist ein Mann zu sehen, der beim Wählen fragt, wo man denn sein Kreuz beim ADAC (18,4 Millionen Mitglieder) machen könne. Wahlempfehlungen möchte Meyer zwar nicht aussprechen – allerdings hat er für die Parteien mit Blick auf die Bundestagswahl einige verkehrspolitische Warnungen parat. Denn 2012 lief vieles nicht so, wie der ADAC sich das wünscht.

Die Welt: Herr Meyer, Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen – Stauland Nummer eins, Hunderte Autobahnbrücken sind marode. Fahren Sie da noch gerne Auto?

Peter Meyer: Ich fahre grundsätzlich gerne Auto. Auch wenn in NRW die Staumeldungen oft länger als die Nachrichten sind. Das zeigt, dass wir dringend unsere Straßen sanieren müssen. Und natürlich die Brücken. Zum Beispiel ist die A-1-Rheinbrücke bei Leverkusen nur noch von Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen befahrbar – ein großes Problem, weil dort normalerweise jeden Tag 14.000 Lkw den Rhein überqueren müssten.

Die Welt: Wobei NRW kein Einzelfall ist. Ihr Verein warnt vor einem "Kollaps" auf den Autobahnen bis 2025. Was heißt das?

Meyer: Gravierende Missstände müssen klar benannt und gelegentlich auch etwas überzeichnet werden. Der Verkehrskollaps ist aber bereits heute zumindest teilweise vorhanden, wenn Sie etwa an den Kölner Ring oder die Berliner Stadtautobahn denken. Das wird in Zukunft weiter zunehmen. Verkehrsminister Ramsauer hat einmal festgestellt: Wir haben in Deutschland 39.000 Brücken auf Autobahnen und Bundesstraßen, ein Viertel davon ist sanierungsbedürftig.

Ich weise darauf hin, dass es vor und nach der Brücke auch noch Straßen gibt, die ebenfalls in gutem Zustand sein sollten. Wir müssen folglich die Ausgaben für die Straßeninfrastruktur dringend erhöhen. Dabei steht nicht der Neubau im Vordergrund, sondern der Straßenerhalt.

Die Welt: Sie meinen vor allem Westdeutschland?

Meyer: Ich will das gar nicht grundsätzlich nach Himmelsrichtungen aufteilen. Gebaut werden muss dort, wo Bedarf ist. Aber Sie haben recht: Wenn Sie heute im Osten der Republik mit dem Auto unterwegs sind, stellen Sie fest, dass die Autobahnen dort glücklicherweise oft in hervorragendem Zustand sind und inzwischen tatsächlich "blühende Landschaften" gut und schnell verbinden. In vielen westlichen Bundesländern haben wir hingegen weiterhin großen Sanierungsbedarf.

Die Welt: Hat sich die Staulänge in Deutschland 2012 weiter negativ entwickelt? 2011 waren es etwa 450.000 Kilometer.

Meyer: Wir werden für das Gesamtjahr 2012 auf knapp 600.000 Stau-Kilometer kommen. Was auf den ersten Blick nach einem dramatischen Zuwachs aussieht, ist aber in erster Linie auf eine noch flächendeckendere und genauere Erfassung der tatsächlichen Verkehrslage zurückzuführen. Denn mit der zunehmenden Zahl an Daten, die der ADAC von Staumeldern und Fahrzeugflotten erhält, steigt auch die Zahl der Staumeldungen, Staustunden und Staukilometer.

Die Welt: Der Bund stellt 2013 für seine Straßen 5,4 Milliarden Euro bereit, eine Dreiviertelmilliarde davon für Neubauten. Wie hoch beziffert der ADAC den Investitionsbedarf für die Bundesfernstraßen?

Meyer: Autofahrer in Deutschland zahlen jedes Jahr bereits 53 Milliarden Euro an den Staat, durch Mineralöl-, Öko-, Mehrwert- und Kfz-Steuer sowie die Lkw-Maut. Für das gesamte Straßennetz in Bund, Ländern und Kommunen werden dagegen nur 19 Milliarden Euro wieder ausgegeben. 34 Milliarden fließen folglich in den allgemeinen Staatshaushalt. Straßen und ihr Erhalt sind aus meiner Sicht für unsere Volkswirtschaft aber so bedeutend, dass man dafür im Bundeshaushalt einen festen Sockelbetrag allein für die Bundesfernstraßen in Höhe von rund sieben Milliarden Euro pro Jahr einplanen müsste. Das würde die Ausgaben verstetigen, die notwendig sind, um langfristige Projekte realistisch und sinnvoll planen zu können.

Die Welt: Die von Ihnen kritisierte Pkw-Maut könnte Geld in die Kassen spülen. Minister Ramsauer hält sie in der nächsten Legislaturperiode für möglich. Wäre eine Auto-Maut, etwa in Form einer Vignette, eine so schlechte Idee?

Meyer: Ja, denn sie ist unsozial und unfair. Ein junger Mensch, der zum Beispiel am Niederrhein oder im ländlichen Brandenburg wohnt, fährt jeden Tag mit dem Auto in die Stadt zur Arbeit, 20 Kilometer hin und auch wieder zurück. Mit welcher Begründung soll dieser junge Mensch dazu gezwungen werden, eine ebenso teure Vignette zu kaufen wie der Vielfahrer, der pro Jahr 100.000 Kilometer und mehr fährt?

Ebenso großer Quatsch ist im Übrigen das immer wieder vorgetragene Argument, ausländische Fahrer würden über eine Mautabgabe ebenfalls substanziell mitbezahlen. Ausländische Fahrzeuge machen lediglich 5,2 Prozent unseres Autobahnverkehrs aus. Das reicht noch nicht einmal für die Abdeckung der Erhebungskosten, geschweige denn lassen sich hier Mehreinnahmen erwirtschaften.

Die Welt: Woher soll denn dann das Geld kommen?

Meyer: Was die Politik nicht gerne sagt: Wenn der Staat die Autofahrer wirklich noch stärker zur Kasse bitten will, geht das nur über Steuererhöhungen. Bei der Mineralölsteuer zahlen Vielfahrer mehr und die Ölkonzerne führen die Steuer direkt an den Staat ab – ohne Erhebungskosten. Das Wort Steuererhöhung nimmt aber natürlich niemand freiwillig in den Mund. Da hört sich Pkw-Maut doch viel besser an. Dazu sagen wir als ADAC aber ganz klar nein.

Die Welt: Die Lkw-Maut wurde im Sommer schon auf vierspurige Bundesstraßen ausgeweitet. NRW-Verkehrsminister Michael Groschek träumt schon von der Ausweitung auf alle Straßen. Was halten Sie davon?

Meyer: Wer solche Ideen entwickelt, muss auch auf die Durchführbarkeit achten. Eine generelle Lkw-Maut auf allen deutschen Straßen ist faktisch nicht realisierbar, weil es unterschiedliche Leistungsträger gibt: Wer bekommt das Geld, wenn Sie eine Maut auf einer Land- oder Stadtstraße erheben? Dafür benötigen Sie umfassende und gleichzeitig praktikable Erfassungsinstrumente. Das einst viel gepriesene Toll Collect ist dafür viel zu teuer, wenn Sie sich beispielsweise vergleichbare Systeme wie die österreichische Asfinag ansehen.

Hinzu kommt, dass Toll Collect die erhobenen Datenmengen gar nicht verarbeiten kann – weil es jedes einzelne Nummernschild erfasst. An einigen Brücken wurde das System deshalb schon wieder abgeschaltet. Das ist im Übrigen auch der Grund, warum das Mautsystem auf bestimmte Bundesstraßen begrenzt wurde. Herrn Groscheks Vorschlag, die Maut auf alle Lkw ab 7,5 Tonnen auszuweiten, halte ich aber für durchaus überlegenswert.

Die Welt: Positives gibt es 2012 bei den Verkehrstoten zu berichten – die Zahl wird voraussichtlich von 4009 auf 3760 sinken. Gibt es beim Thema Verkehrssicherheit dennoch Entwicklungen, die Sie besorgen?

Meyer: Natürlich, denn jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Zwar ist es grundsätzlich positiv, dass der Trend nach unten geht. Aber es gibt bestimmte Gruppen, die uns ernsthaft Sorgen machen. Etwa die 18- bis 25-jährigen Autofahrer, die rund 20 Prozent der Unfälle verursachen. Wir setzen uns daher stark für Nachschulungen nach dem Führerscheinabschluss ein. Die Schweiz und Österreich haben das mit nachhaltig guten Zahlen vorgemacht, daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.

Aber auch viele Radfahrer aller Altersgruppen fahren einen sprichwörtlich harten Reifen. Hier sind die Unfälle besonders dramatisch, da Radfahrer nach wie vor sehr oft keinen Helm tragen. In dieser Gruppe ist die Zahl der Verkehrstoten leicht gestiegen, ebenso bei den Motorradfahrern. Und auch Fußgänger sind eine besonders gefährdete Risikogruppe: Sie nehmen Gefahren oft gar nicht wahr, gehen schnell nochmal bei Rot über die Ampel oder an einer unübersichtlichen Stelle über die Straße. Fußgänger sind daher oft in Unfälle mit allen anderen Verkehrsteilnehmern verwickelt: Auto-, Motorrad- und auch Fahrradfahrern.

Die Welt: Die Aggressivität im Verkehr hat 2012 also nicht abgenommen?

Meyer: Nein und das stimmt mich besonders traurig. Gegenseitige Rücksichtnahme im Verkehr nimmt nicht zu, sondern weiter ab.

Die Welt: Schwere Geisterfahrer-Unfälle haben zu einer Debatte darüber geführt, ob Deutschland mehr gegen Falschfahrer tun muss. Sehen Sie Handlungsbedarf?

Meyer: Es werden etwa 2500 Geisterfahrer pro Jahr registriert, die Zahl der tödlichen Unfälle hat sich über die Jahre hinweg bei etwa 20 eingependelt. In den letzten Wochen mussten wir einige besonders schlimme Falschfahrer-Nachrichten lesen, denken Sie etwa an den schrecklichen Unfall auf der A 5 in Baden-Württemberg. Was sich aus meiner Sicht als wirksame Prävention am schnellsten durchsetzen kann – auch weil es preiswert ist – sind die großen neongelben Stopp-Schilder mit der schwarzen Hand, die wir aus Österreich und ersten Tests in Bayern kennen.

Krallen, die im Fall der Fälle aus dem Boden hochfahren, halte ich hingegen für weniger geeignet. Denken Sie etwa an Rettungsdienste, die oft entgegen der Fahrtrichtung auf die Autobahn auffahren müssen, um schnell an die Unfallstelle zu kommen. Eine weitere, aber sicherlich kostspielige Idee wären Bewegungsmelder, die ein Blitzgewitter auslösen – insbesondere, weil Geisterfahrer oft nachts unterwegs sind.

Die Welt: SPD und Grüne haben im Fall eines Wahlsiegs schon Regelgeschwindigkeit 30 in Städten als verkehrspolitisches Ziel ausgegeben. Wie sehr fürchten Sie Rot-Grün im Bund?

Meyer: Gar nicht. Die SPD hat ein im Kern pragmatisches verkehrspolitisches Programm. Sie hat erkannt, dass individuelle Mobilität – sprich: mit dem Auto – ein unbedingtes Muss ist. Das finden wir gut. Ähnlich verhält es sich bei den Grünen. Natürlich haben die vor langer Zeit einmal fünf D-Mark pro Liter Benzin gefordert – aber die haben wir ja bald tatsächlich erreicht. Eine generelle Regelgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern halten wir als ADAC aber für einen Fehler, der hoffentlich nicht gemacht wird. Gerade eine solch langsame Regelgeschwindigkeit wäre nicht positiv für den CO2-Ausstoß.

Die Welt: Kann es sich eine Bundesregierung überhaupt erlauben, Verkehrspolitik gegen die Interessen des ADAC zu machen?

Meyer: Selbstverständlich kann sie das machen, ja. Aber ob sie damit wirklich glücklich wird, ist eine andere Frage. Der ADAC vertritt heute mehr als 18,4 Millionen Mitglieder, die sich natürlich entsprechend zu Wort melden und ihre Meinung kundtun. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen: Von einer Partei, die Tempo 120 als Tempolimit auf Autobahnen einführen möchte, werden sich viele Autofahrer und auch ADAC-Mitglieder abwenden – ohne an dieser Stelle parteipolitisch zu werden. Tempolimit, City-Maut, Pkw-Maut – das sind Themen, vor denen ich jede deutsche Partei nur warnen kann.

Die Welt: Wie erleben Sie eigentlich das Debakel um Stuttgart 21 und den Berliner Großflughafen?

Meyer: Sie sollten Ihre Frage ruhig noch um die Elbphilharmonie in Hamburg und die Staatsoper in Berlin erweitern, da das Kernproblem nicht auf Verkehrsinfrastrukturprojekte beschränkt ist. Immer dann, wenn Politik sich aufschwingt, Bauherr zu sein, kommt auf Dauer nichts Passendes dabei heraus. Politiker sollten sich auf Politik konzentrieren – und nicht auf Fachaufgaben, die man besser Experten überlässt.

Die Welt: Zurzeit ist viel von neuen Mobilitätskonzepten die Rede: Carsharing, Elektromobilität, die Renaissance des Fahrrads. Wird das eigene Auto allmählich zum Auslaufmodell?

Meyer: Nein, das Auto als wichtigster Baustein individueller Mobilität ist auch in Zukunft notwendig, und es machen auch noch genügend junge Leute den Führerschein. Sie haben allerdings recht, dass der Sättigungsgrad in Deutschland schon recht hoch ist. Durchschnittlich verfügt jeder Haushalt über 1,17 Pkw, was eine Menge ist. Für Großstädte halte ich das Carsharing-Prinzip übrigens für eine gute Idee. Meine Tochter wohnt in Berlin und nutzt dort fast nur noch entsprechende Angebote. Ihr Auto hat sie inzwischen sogar abgegeben. Auf dem Land hingegen macht das wenig Sinn. In vielen Situationen ist das eigene Auto hinsichtlich Flexibilität, Verfügbarkeit oder Zuladung unschlagbar.

Die Welt: Kann Elektromobilität dem Auto langfristig Konkurrenz machen?

Meyer: Auch hier gilt: in der Stadt eher als auf dem Land oder der Autobahn. Für letztere bräuchten wir herstellerseitig ganz andere, wesentlich leistungsstärkere Batterien. Aber für den innerstädtischen Bereich, etwa für kommunale Fuhrparks oder manche Firmen, sind Elektroautos trotz hoher Batteriekosten schon heute eine gute Lösung. Ansonsten glaube ich, dass sich Hybride, also Fahrzeuge mit Benzin- und Elektromotoren, als Übergangslösung schneller durchsetzen werden als reine Elektrofahrzeuge.

Die Welt: Das Auto bleibt also Fortbewegungsmittel Nummer eins?

Meyer: Ja, die nächsten 20, 25 Jahre ganz sicher, davon bin ich überzeugt. Und die nächsten 15 bis 20 Jahre bleiben der Otto- und der Diesel-Motor auch die relevantesten Antriebe.

Die Welt: Herr Meyer, was wünscht sich der ADAC-Chef 2013?

Meyer: Ich wünsche mir, dass in der Politik endlich alle begreifen, dass Deutschland beim Straßenunterhalt auf der letzten Rille fährt. Und dass endlich ein umfassendes Straßensanierungsprogramm aufgelegt wird, damit wir auch in Zukunft ohne Probleme von A nach B kommen.

Foto: dapd Stau auf der Bundesstraße 1, die zur Stadtmitte von Düsseldorf führt. Nordrhein-Westfalen ist Stauland Nummer eins in Deutschland. Bundesweit stieg die Staukilometerzahl 2012 laut ADAC-Prognose auf rund 600.000
Foto: dapd Ein Lkw passiert auf der Autobahn A9 bei Dessau-Rosslau eine elektronische Mautstelle
Foto: dpa In Berlin gelten "Kampfradler" als besonders großes Problem
Foto: dpa Ein Warnschild für Geisterfahrer an der Autobahn A 3 nahe Deggendorf (Bayern)
Foto: ZB Sieht so Tanken in der Zukunft aus? Ein Elektroauto wird an einer Solartankstelle in Zwickau mit Energie versorgt

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